Hähne schlachten - Ein Tabuthema

Erlauben Sie mir eine Anmerkung vorab: In diesem Beitrag geht es um das Schlachten von Junghähnen. Dies ist ein Tabuthema in der Hühnerhaltung und in der Selbstversorgung. Wir haben sehr bewusst entschieden, dieses Thema nicht auszugrenzen – wohlwissend, dass es emotionale Reaktionen hervorbringen kann und wird. Dennoch ist es eine unvermeidbare Erfahrung in der Hühnerhaltung und Arterhaltung der Orpingtons.
Falls Sie sich nicht mit dem Thema auseinandersetzen möchten, überspringen Sie diesen Beitrag!
Die Sommertage ziehen ins Land und allmählich wird optisch ein Unterschied zwischen den Hähnen und Hennen unübersehbar. Wir haben drei kleine Hähne, die sich zunächst prima verstehen. Nach und nach werden sie erwachsen und beginnen zu krähen.
Die ersten Krähversuche bringen uns zum Lachen.
Die Hähnchen richten sich auf und versuchen, etwas Lautes zustande zu bringen, es endet aber meist in einem undefinierbaren Krächzen. Aber Übung macht den Meister und so haben wir bald drei Junghähne, die zu jeder Tag- und Nachtzeit ihr Können unter Beweis stellen.
Einmal schaut ein Nachbar grinsend über den Zaun und sagt: „Bei Eurem Hahn stimmt die innere Uhr wohl nicht ganz.“ Nachts sperren wir die Jungs ein, die Mädels dürfen die sommerlich warmen Nächte im Offenstall verbringen. Ein paar Tage geht das gut. Dann beginnen die Jungs miteinander zu zanken.
Eine Lösung muss her – schnell!
Ich setze eine Anzeige ins Internet und versuche, über Facebook-Gruppen ein neues Zuhause für zwei der drei Jungs zu finden. Leider vergeblich. Niemand interessiert sich für krachmachende Hähne.
Die Zankereien der Hähne werden inzwischen zu Kämpfen. Die einst harmonische Hühnerschar wir täglich unruhiger. So kann es nicht weitergehen. Wir müssen uns unserer Verantwortung stellen:
Zwei Hähne müssen zum Schlachter.
Es bricht uns das Herz, aber wir vereinbaren einen Schlachttermin in einem nahegelegenen Betrieb. Früh am Morgen fahren wir mit einem flauen Gefühl in der Magengrube dorthin. Wir haben den ersten Termin des Tages.
Als wir unsere beiden Jungs dem Schlachter in die Hand geben, fühlen wir uns schuldig.
Während wir im Auto warten, hören wir zwei kurze panische Schreie unserer Hähne. Wir versuchen uns einzureden, dass es nicht anders geht. Kurz darauf kommt der Schlachter aus dem Gebäude und fragt nach der Kühlbox.
Auf dem Nachhauseweg fühlen wir uns elend. Wir sprechen kaum ein Wort. Auf dem Rücksitz befindet sich die Kühlbox – mit unseren toten Tieren. Anhand der verschiedenen Farben der Beine können wir die Beiden noch gut unterscheiden. Bilder von der Aufzucht kommen hoch – schöne Erinnerungen an liebevolle Stunden im Hühnerstall. Zu jedem der beiden Hähne können wir Geschichten erzählen. Sie waren grundverschieden in ihrem Wesen. Nun sind sie nackt und tot. Bereit zum Verzehr. In der Theorie war das alles sehr viel einfacher.
Vielleicht war die Kükenaufzucht doch keine gute Idee gewesen…
Zuhause verstauen wir die toten Tiere in der Kühlung. Sie schauen genauso aus, wie wir es von Supermarkt-Hühnern kennen. Uns wird klar, dass wir seit der Kindheit tote Tiere essen.
Im Supermarkt ist die Realität nicht greifbar.
Das Fleisch liegt appetitlich und anonym in der Auslage. Nichts erinnert daran, dass es Teil eines fühlenden Lebewesens ist. Ein Tier mit einem ganz eigenen Charakter, einer eigenen Persönlichkeit. Getötet, damit wir etwas Leckeres auf dem Teller haben.
Wir brauchen ein paar Wochen, um unser Gefühlschaos neu zu ordnen und uns klar zu werden, wie wir über den Fleischverzehr denken.
Wohin soll die Reise gehen?
Sollen wir die toten Hähne aus der Kühlung nehmen und sie entsorgen? Die Vorstellung, unsere beiden Hähne in den Müll zu werfen, empört uns. Sollen wir sie im Garten begraben? In dem Garten, der uns und ebenso unsere Tiere nähren soll? Das passt nicht.
Irgendwann dämmert es uns: Natur bedeutet fressen und gefressen werden. Wir sind als Raubtier geboren. Unser gesamter Körper ist darauf eingestellt, Tiere zu essen. Vegetarisch zu leben ist unnatürlich.
Der Tod ist Teil des Lebens – er gehört zu unserem kleinen Ökosystem.
So, wie die Hühner mit Freude Würmer und Insekten fressen, sind Hähne in der Natur Futter für Raubtiere. Draußen, im Dschungel, aus dem unsere Haushühner ursprünglich stammen, werden Junghähne an den äußersten Rand der Hühnerschar gedrängt. Sattelitenhähne nennt die Wissenschaft das. Sie sind entbehrlich. Ihr Tod schützt den Rest der Hühnerschar. Nähert sich ein Raubtier, werden sie gefressen, während die Küken, die Hennen und der ranghohe Hahn überleben. So hat Mutter Natur das eingerichtet.
Ein totes Tier verwesen zu lassen wäre Verschwendung. Es ist wider der Natur.
Und so entscheiden wir, die toten Hähne der Küche zuzuführen. Dieser Entschluss ist verbunden mit einer tiefen Demut.
Ich verarbeite die toten Hähne zu einer kräftigen Brühe. Nie zuvor habe ich ein Mahl so bewusst zubereitet und zu mir genommen. Bei jedem Löffel, den ich zum Mund führe, habe ich ein flaues Gefühl. Gleichzeitig ist er da, der Gedanke: „Diese Tiere hatten ein wunderschönes und glückliches Leben. Es hat ihnen an nichts gefehlt. Sie durften artgerecht leben, durch den Garten flitzen, im Mulch buddeln und sich abends mit ihren Geschwistern zu einem zufriedenen „Gute-Nacht-John-Boy“ zusammenkuscheln.
Es ist ihr Schicksal, als Nahrung für andere Wesen zu enden.
Die letzten Minuten ihres Lebens sind von Angst geprägt gewesen. So, wie es die Natur für sie vorsieht – egal ob bei uns oder im tiefsten Dschungel…
Wir entscheiden uns für eine natürliche Ernährungsweise.
Es ist eine sehr emotionale Reise: Der Weg - weg vom anonymen, bunt verpackten Supermarktessen, hin zur Mutter Natur. Die Sichtweise ändert sich.
Ein geschlachteter Hahn wird mit Demut und Dankbarkeit zubereitet und gegessen - im Bewusstsein, dass er ein glückliches Leben hatte.